Pflanzen und Frauen

Über Pflanzen geht das Voynichmanuskript viele Seiten. Über badende Frauen nur einige Seiten. Über astrologische Kreise finden wir einen Einstieg. Zufälle begleiten die Entwicklung der Ausstellung.

Über Pflanzen und Frauen
Eine Auenausstellung in Zusammenhang mit dem Voynich Manuskript 2017

Das Voynichmanuskript. Eine mittelalterliche Handschrift, die bisher nicht entziffert werden konnte. Eine bebilderte Pflanzenkunde im Hauptteil, was die Seitenzahl angeht. Eine Sternkunde und Bäderkunde folgt und am Ende sehen wir eine Apothekensektion, wohl mit Rezepturen zu der Pflanzenkunde. Spannend sind vor allem die Tierkreiszeichen und die Bädersektion. 
Über Pflanzen geht das Voynich Manuskript also viele Seiten. Über Sternfrauen und badende Frauen nur einige Seiten. Über astrologische Kreise finden wir einen Einstieg. Zufälle begleiten die Entwicklung der Ausstellung:

Es war einmal, dass mich meine Arbeit zu Lucas Cranach geführt hat. Da war der arme Lucas schon 450 Jahre aus dem Leben geschieden. Oder besser, genau 450 Jahre. So sind die Anlässe der Erinnerung. Fünf Figurinen habe ich geformt, nach Cranachs schönen Mädchenmustern. Nackt und geschmückt mit echtem Schmuck, die Beine in einen Pflanzenstengel sich zuspitzend, die Arme als zarte Blätter in dieser typischen Verdrehung hinter den Rücken und zur Seite. Sie haben zu einem Bild posiert mit Kerzen und mit einem Babyturm im Reagenzrohr. Das war 2003.

Dann mussten sie lange in einer Schachtel im Dunkeln liegen bleiben. Bis mich mein Weg in die Au geführt hat und dort der „Erweckungsgedanke“ nach einer neuen Interpretation und nach meinen Figuren gerufen hat. Alles, was nie ausgestellt war und so unwürdig in Dachkammern und Kisten lagerte, wurde in den Fluss gesetzt. Den Fluss der Zeit, des Wandels des natürlichen Verschwindens. Da sie nicht wie befreite Tiere davonlaufen können, sondern eher wie Pflanzen an den Platz gebunden sind, an dem sie ausgebracht werden, kann ich sie besuchen und ihre Entwicklung dokumentieren, selbst in Kommunikation mit den sich wandelnden Begebenheiten treten, Zufälle, die Entstehung von bedeutungsmustern und magisches Denken untersuchen, selbst eintauchen in das Fließen. 

Die zarten Cranachfrauchen allerdings blieben zunächst in ihrer Schachtel. Erst als ich die obere Au erschlossen habe, ist mir die Tonne auf dem Teich als Standort erschienen. Häufig hatte ich sie schon vor der Linse in ihrer Linsensuppe schwimmend, mit einem anwachsenden Graspolster ausgestattet, und mich gefragt, was das wohl sein kann. Einer Eingebung folgend brachte ich die Cranachfigurinen zu ihr. Die Löcher mussten etwas enger gestopft werden. Mit trockenen Halmen und Erde verklebt hielten dann die Stangenbeine und meine Cranachfrauchen wurden zu Grastänzern.
 

Ein zweites Mal posierten sie für eine Ausschreibung und wieder wurde nichts aus einer Ausstellung. Nicht weil sie abgelehnt wurden, auch dieses Mal nicht, es war einfach meine Entscheidung für etwas Anderes. Anka und Anders eben.

Ihr habt es natürlich schon gemerkt: Der Standort der Frauchen in der Au, auf der Tonne, ist vorgezeichnet im Voynich. Sie haben auf das Manuskript gewartet, um dazu endlich wieder lebendig zu werden. Sie haben getanzt und gefeiert, zwei Nächte und zwei Tage lang. Dann habe ich sie wieder heimgeholt in ihre Schachtel, weil es doch zu heikel war und an einem vorsätzlichen Zerstören der Arbeit bin ich nicht interessiert. Das war 2015.

2016 habe ich zur ersten Auenausstellung die grüne Tonne aus dem Teich geborgen und ins Atelier geholt. Die Frauchen durften auf ihr posieren und die Tonne hat einen deftigen Fischgeruch in die Ausstellung gebracht. 
 

Der Fisch! Im Frühjahr danach habe ich den ersten großen Fisch in der Au getroffen. Bei Vollmond, dem angekündigten Riesenvollmond im Dezember 2017 bin ich dem Silberschein auf der abendlich schwarzen Fließfläche nachgegangen. Plötzlich schlug etwas großes, Festes, aber nicht Hartes dafür sehr Bewegliches an meinen Stiefel und brachte mich fast ins Straucheln. Der Schrecken fuhr mir mit einem leisen Gruseln in die Knochen. Was war das? Ein Stückchen weiter oben bin ich umgekehrt und musste wieder an der Stelle vorbei, die mir so einen Schrecken eingejagt hatte. Auch dieses Mal war ich nicht wirklich vorbereitet und froh, als ich nach ein paar Schwanzschlägen an meine Stiefel aus der Biege wieder in unbesetztes Strömen einstimmen konnte. Mit der Strömung geht man schneller. Aber im Dunkeln ist es unsicherer, weil man wirklich gar nichts mehr sieht im Wasser. Die größeren Steine und Wurzeln bringen dich schnell zu Fall, wenn du nicht sehr achtsam gehst.
 

So ist es auch mit den Spekulationen. Ehe man es sich versieht, ist man auf die Nase gefallen, die man gerade so in einen dummen Gedanken gesteckt hatte, der alle Unwissenheit offenbart und sonst gar nichts. Die Erfahrung mit dem Fisch hat mir endlich die langen hellen Kiesspuren erklärt, die die Forellen durch das Verscharren ihrer Eier beim Laichen hinterlassen. Da habe ich mir dann das Manuskript bestellt, um präziser spekulieren zu können. Jetzt war es natürlich kein Zufall mehr. Ich habe die Voynichfrauchen nachgebaut und in den Teich ausgesetzt.
 

Als sie genügend Patina aus Kleinorganismen und damit zusätzliches Eigenleben angesetzt hatten, habe ich sie ins Atelier geholt und am Brunnen inszeniert.

Das war der Anfang. Für die eigentliche Auenlaufausstellung im Oktober habe ich noch mehr Frauchen gebaut und im Rabenholzer Wald ins Moor gesetzt. Die habe ich dann zurück ins Atelier in die Alchemistische Sektion geholt und in die Lochtonne, die jetzt in einer anderen Ecke neu aufgestellt und neu belebt wurde. Die Anzahl habe ich nach den Bildern im Manuskript gewählt.
 

Inzwischen hatte ich gezählt, dass es immer 29 oder 30 Figuren sind auf den Tierkreiszeichen. Bei den Fischen sitzen sie nackt in ihren Tonnen. Im April und Mai sind sie auf zwei Kreise verteilt, jeweils 15 und dabei einmal nackt und einmal angekleidet. 

Am 27. Januar 2017 hatte ich den toten Fisch gefunden.
 

Kann es sich um einen hebräischen Kalender handeln?

Die Badebilder mit den Seelen, für die vielleicht zu verschiedenen Anlässen Reinheitsrituale erklärt werden, damit es reine Seelen werden, wobei Seele und Körper untrennbar miteinander verbunden sind, oder sich die Reinheit erhält oder erneuert, sind in dieser Installation über die weiteren Ausstellungsstationen reflektiert. Nach dem fröhlichen Badebrunnen kommt die alchemistische Sektion mit den Fleischwölfen, dem Gestaltwandel, der Wanne und den Glasgefäßen.

Alle Elemente der Welt befinden sich auch im Menschen, und mit ihnen wirkt der Mensch.“ Die Elemente Feuer, Luft, Wasser und Erde nennt Hildegard von Bingen das „feste Gefüge des Weltalls“. Für uns etwa Der Makrokosmos, wogegen der menschliche Körper eine Entsprechung ist als Mikrokosmos. 
 

Gegenüber an der Wand steht die Allee mit den Nackten ohne Kopf. Sieben Figuren auf vier Papierfahnen. Dazwischen das Gedicht von Eugen Gomringer, über das zu der Zeit gestritten wurde. Alleen und Frauen. Das hat mich in die Gegenwart gebracht mit meiner Arbeit. Frauen und Pflanzen, das ist noch immer aktuell. Die Nacktportraits stammen von einem Foto aus Südwestafrika. Eine Hundertjahrfeier der ethnologischen Registrierung einer Frauenallee. 

Weiter geht es in der Ausstellung in die mystische Sektion. Die Schrift an der Wand beginnt schon beim Gomringergedicht, welches an der Salomonhochschule in Berlin an der Hausfassade angebracht war. Minnesang. Es leitet über zu einer mittelalterlichen Pflanzenbeschreibung. Und einem kleinen Vasenobjekt, das auch noch aus der Cranacherkundung stammt. Die Frau als Pflanze, die Frau als Gefäß.

Übrige Schriftzeichen aus Ton „schwimmen“ in der Wanne zwischen nebelnder Plastikfolie. 
 

Dann haben wir endlich das Bild der Schechina aus dem Voynichmaniskript. Natürlich ist das wieder eine Auslegung von mir. Ich habe aus der Kabbala eine Beschreibung dieser Erscheinung an die Wand geschrieben.

Die „weichere Stärke“ der Frau wird auch von Hildegard von Bingen besungen. Und die weibliche Qualität des Wassers ist eine Entsprechung wie die Pflanzliche Symbolik für die Seele, aus der alle Kraft für das Lebendige kommt wie aus der Frau: „Die erste Mutter der Menschheit war wie aus dem Äther erschaffen. Denn wie der Äther alle Sterne in sich trägt, so trug sie selbst unberührt und unversehrt und ohne Schmerz die Menschheit in sich.“  Und: „O Weib, du Schwester der Weisheit, wie herrlich bist du! In dir erstand das überstarke Leben, das nimmermehr vom Tod erstickt wird.“ 

Im Hohelied von Salomon in der Bibel heißt es „Denn stärker als der Tod ist die Liebe
Danach kommt das Bild mit dem Fisch. Die Frau und der Fisch. Wie ich es erlebt habe. So in etwa.
Das Bild ist aus der Schablone zu einem Graffiti, das ich in der Unterführung an der Au angebracht habe, und dem Foto vom echten Fischkopf entstanden. 
 

Das Reiherskelett an der Au hat auch das Ornament gebildet. Wie das Seil im Rabenholzer Wald. Ich habe es als Leonardoknoten oder auch Liebesknoten inszeniert. Dazu noch eine Wanne, das Foto mit Seil und Tatoo. Am Ende gibt es eine Kleiderstange mit Bügeln darauf an denen Bilder von Nackten hängen, die mir ein Muster zu Überlegungen zu den Voynichfrauen geliefert haben. Ein Muster auf dem ich mein Erkennen durchspiele.

Blickt man von der Raumecke neben der Tür zum Atelierbüro auf den Kleiderständer, sieht man das Foto eines Eisbildes mit zwei Frauenakten nach einer Felszeichnung (wie das „Tatoo“) und weiter diagonal durch den Ausstellungsraum auf das Bild vom Bild, das Brustbild einer Nackten, deren Augen mit einem „fragile“ Aufkleber verbunden sind hinter einer Installation von Brennnesseln, die im Vordergrund unscharf das Bild verschatten, so dass es aussieht, als sitze ein Akt auf der Schulter der portraitierten Frau. Genau derselbe Akt, den ich im Winter auf Eis gemalt hatte und auf dem Teich zum Schmelzen ausgesetzt habe. Das Fragilefoto war 2013 entstanden, in einer Ausstellung in der Dänischen Bibliothek in Flensburg über das Atelier von IB Brase mit unseren Atelierselbstportraits. Es zeigt Christiane Limper, wie sie sich als Künstlerin sieht und davor die Brennnesseln, die zu meiner Installation des Auenateliers, der ersten übrigens, gehörten. Noch so ein passgenauer Zufall. Uns ist hierbei die Gruppe MAP. 
 

Am Brunnen ist der Jungbrunnen eingezogen und hat die kleinen Voynichfrauchen verscheucht. In eine Sitzbadewanne wird ein Video projiziert, dass eine Frau beim Wasserschöpfen zeigt. Sie schwingt einen Eimer gegen die Strömung und gießt das gewonnene Wasser zurück in den Bach. Es ist, als wolle sie damit das Fließende zurückwerfen.

Die Besucher können eine Pumpe betätigen, die Wasser aus dem Brunnen unter der Wanne in die Wanne schöpft, das dann durch den Wannenabfluss wieder in den Brunnen zurückfließt.